Die platonische Ideenlehre als Vorbild für die Freimaurerei- TEIL 1

Die platonische Ideenlehre als Vorbild für die Freimaurerei- TEIL 1

Wilhelm Gerbert

Ich werde mich bemühen, das Ganze nicht in eine philosophische Vorlesung ausarten zu lassen – muss und werde aber an einigen Stellen etwas ausholen.

Es gibt in der menschlichen Geschichte eine Vielzahl von Lösungsversuchen auf die Frage „Warum“? Was ist der Grund und das Ziel unseres Seins. Religion, Philosophie, Esoterik, Buddhismus, Meditation, diverse Ideologien etc. – Die verschiedensten Gruppierungen versuchen ihre individuelle Lösung, als allein Selig machend zu verkaufen – oft mit radikalen Mitteln und auf Kosten der anders Denkender. Oft gepaart mit Absolutheitsanspruch und damit korrespondierender Intoleranz. Das grundlegende Motto der katholischen Kirche – um ein Beispiel aus unserem Kulturkreis zu zitieren lautet: „Nulla Salus extra Ecclesia – kein Heil außerhalb der Kirche“. Im radikalen Islam ist das Töten der Andersgläubigen Religionsgrundlage. Und der auch so friedliche Buddhismus ist in seiner politischen Ausrichtung an diversen Genoziden – besonders an Muslimen – beteiligt. Doch woher kommt die jeweilige „Erkenntnis“? Offenbarung? – Vision? – Überlieferung? – Wissenschaft?

Mich selbst beschäftigt die Ideenlehre Platons seit gut 40 Jahren – sei es im Griechisch-Unterricht im Gymnasium, im Philosophie- und Theologiestudium – sei es in aktuellen Überlegungen. Das platonische Modell der Ideenlehre versucht eine Antwort zu geben auf das Was ist Wirklichkeit wirklich? Oder wie kann ich als denkender Mensch und Individuum erkennen, was der Kern einer Sache ist, die mir begegnet. Oder wie es Faust dichterisch ausdrückt „Das also ist des Pudels Kern . . .“

Was hat das mit Freimaurerei zu tun? Freimaurerei ist die permanente Arbeit an sich selbst, am eigenen rauen Stein. Es geht darum, besser zu werden, als ich heute bin. Es geht um mich. Als Freimaurer verbessern wir weder den anderen Bruder, noch handeln wir im Sinne eines sozialrevolutionären Ansatzes die Arbeit am eigenen rauen Stein verfolgt das Ziel selbst passend zu werden für den sogenannten Tempel der Humanität – oder anders ausgedrückt: Verbesserung der Welt durch die permanente Arbeit an sich selbst und eine daraus sich ergebende Vorbildfunktion.

Das Arbeitsmodell der Freimaurer ist zielgerichtet. Es ist geprägt von der Suche nach Erkenntnis
• über sich selbst – in diesem Sinne fordern wir unsere Lehrlinge auf „Schau in Dich“
• über die mich umgebende Welt – für die Lehrlinge gilt: „Schau um Dich“
• und über das, was über mir steht. Entsprechend lautet die Aufforderung an die Brüder Meister „Schau über Dich“
Die freimaurerische Arbeit am eigenen rauen Stein bezieht sich sowohl auf die Vergangenheit „was war“, die Gegenwart „was ist“ und die Zukunft „was soll sein“.

Genau hier finden wir eine Schnittstelle zum Modell des Platons. Über seinen Lehrer Sokrates führt er eine Methode ein, die sich in verschiedensten Formen durch die Geistesgeschichte von Sokrates/Platon über Kierkegaard, Lessing, Kant bis in die Neuzeit zieht – die sogenannte „Sokratische Methode“ oder auch „Maieutik = Hebammenkunst“ genannt.

Der Begriff bezeichnet ein auf den griechischen Philosophen Sokrates zurückgeführtes Vorgehen. Sokrates, dessen Mutter eine Maia = Hebamme war, hat seine Gesprächstechnik mit der Geburtshilfe verglichen. Gemeint ist, dass man einer Person zu einer Erkenntnis verhilft, indem man sie durch geeignete Fragen dazu veranlasst, den betreffenden Sachverhalt selbst herauszufinden.

So wird die Einsicht mit Hilfe der Hebamme – des Lernhelfers – geboren, der Lernende ist der Gebärende. Würzt man das dann mit der Aristotelischen Dialektik und Logik sowie mit der auf Hegels basierenden Widerspruchstheorie und Dialektik (u.a. konvergent zum Yin und Yang der klassischen chinesischen Philosophie), ergibt das einen sehr wirkungsvollen Ansatz mit Sprengstoff-Charakter. Dieser Ansatz macht Probleme bewusst, hilft beim Aufdecken von Ursachen = Gründen und erzeugt Chancen und Möglichkeiten für sinnvolle Lösungen und neue Positionierungen.

Mit der Technik des zielführenden Fragens bringt Sokrates seine Gesprächspartner dazu, vorhandene irrige Vorstellungen zu durchschauen und aufzugeben. Das führt oft dazu, dass sie in eine Ratlosigkeit = Aporie geraten. Im weiteren Verlauf des Gesprächs kommen sie aber auf neue Gedanken. Diese werden wiederum mittels der Fragetechnik auf ihre Stimmigkeit überprüft. Schließlich gelingt es dem maieutisch Befragten, entweder den tatsächlichen Sachverhalt selbst zu entdecken oder sich zumindest der Wahrheit anzunähern – beispielsweise im Dialog mit Anderen – in Modell, was uns Freimaurern nicht ganz unbekannt ist. Diese Hilfe beim Suchen und Finden von Erkenntnissen, wobei auf Belehrung konsequent verzichtet wird, erscheint in Platons Darstellung als spezifisch sokratische Alternative zur konventionellen Wissensvermittlung durch Weiterreichen und Einüben von Lehrstoff.

Im Gespräch mit Theaitetos verfolgt Sokrates die Analogie zwischen seiner Mäeutik und der Hebammentätigkeit weiter: „Eine Hebamme kann erkennen, ob überhaupt eine Schwangerschaft vorliegt. Sie kann die Wehen beschleunigen oder hinauszögern oder auch eine Abtreibung einleiten. Außerdem eignet sie sich hervorragend als Heiratsvermittlerin. Über solche Kompetenz verfügt auf analoge Weise auch der geistige Geburtshelfer. Er vermittelt „Heiraten“, indem er Lernbegierige zu passenden Lehrern schickt, wenn er sieht, dass sie sich nicht für seine mäeutische Kunst eignen. Solche Entscheidungen trifft er aufgrund seiner Fähigkeit einzuschätzen, welche Seelen in der Lage sind, wertvolle Erkenntnisse hervorzubringen, und welche nicht wirklich schwanger sind oder nur Untaugliches gebären können. Nach dieser Einschätzung wählt er die aus, denen er Geburtshilfe leistet; die anderen schickt er weg.

Sokrates weist im Theaitetos darauf hin, dass Hebammen selbst Mütter seien und daher eigene Erfahrungen mit dem Geburtsvorgang hätten, was für ihren Beruf auch notwendig sei.

Der Ansatz von Platon hat mich geprägt – sowohl im Sinne des Lehrlingsgrads „schau in Dich“ als auch im Gesellengrad unter dem Auftrag „schau um Dich“. Mit dem Anspruch des Meistergrads „schau über dich“ kämpfe ich bis heute. Aber ich habe ja hoffentlich noch ein paar Jahre.

Die Frage ist nun: Woher kommt die Erkenntnis und wie bekommt man sie? Geht es um eine individuelle Nabelschau im Sinne des „Schau in Dich“ eine Umweltanalyse im „Schau um Dich“, eine psychotherapeutische Analyse des woher und wohin? Und was ist mit dem „Schau über dich“? Werte? Traditionen? Verhaltensmuster? Religion? Glaube? Ethik? Woher kommen die zugrunde liegenden Werte, alias Ideen?

Der Begriff Ideenlehre ist die neuzeitliche Bezeichnung für die auf Platon zurückgehende philosophische Konzeption. Er beschreibt einen erkenntnistheoretischen Ansatz, nach dem Ideen als eigenständige Entitäten existieren. Diese Entitäten sind dem Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Objekte übergeordnet.
Die Ideen als philosophische Termini sind nicht wie im modernen Sprachgebrauch als Einfälle, Gedanken oder Leitbilder zu verstehen.
Die Platonische Ideen sind beispielsweise „das Schöne an sich“, „das Gerechte an sich“, „der Kreis an sich“ oder – „der Mensch an sich“.
Nach der Ideenlehre sind die Ideen nicht bloße Vorstellungen im menschlichen Geist, sondern eine objektive metaphysische Realität. Sie existieren also außerhalb der realen Welt und es geht darum, ihr Wesen zu erkennen, sie zu erfassen und sie in der realen Welt weitgehend umzusetzen.
Die Ideen, welche den Objekten der Sinneserfahrung zugrunde liegen, stellen für Platon die eigentliche Wirklichkeit dar. Sie sind vollkommen und unveränderlich. Als Urbilder – maßgebliche Muster – der einzelnen vergänglichen Sinnesobjekte sind sie die Voraussetzung für deren Existenz und Erkennbarkeit. (Beispiel Stuhl)
Platons Ideenkonzeption steht somit in polarem Gegensatz zur Auffassung, dass die Einzeldinge die gesamte Wirklichkeit ausmachen und hinter den Allgemeinbegriffen nichts steht als das Bedürfnis, zur Klassifizierung der Phänomene Ordnungskategorien zu konstruieren.

Platon hat bei seinen Äußerungen zur Ideenkonzeption keine feste Terminologie eingeführt, sondern auf verschiedene Ausdrücke der Alltagssprache zurückgegriffen. Für die später so genannten „platonischen Ideen“ verwendete er vor allem die Wörter idéa und eídos (unser in den ewigen Osten vorangegangener Bruder Huber Becker hätte heute seine wahre Freude  ), aber auch morphé (Gestalt), parádeigma (Muster), génos (Gattung), eikon (Bild), physis (Natur) und ousia (Sein, Wesen) und besonders lógos (das Wesen, die Ur-Idee, das Zugrunde Liegende )
Luthers Übersetzung des Anfangs des Johannnes-Evangeliums: Am Anfang war das Wort = bewusste politische Fehlübersetzung // Verkündigung des Wortes Gottes im deutschsprachigen Gottesdienst versus lateinisches Hochamt).

Die wichtigsten, für die Rezeption der Ideenlehre maßgeblichen Begriffe sind idea und eidos. Beide bezeichneten im allgemeinen Sprachgebrauch einen visuellen Eindruck und werden gewöhnlich synonym gebraucht. Gemeint ist das Erscheinungsbild von etwas, was gesehen wird und dabei einen bestimmten Eindruck macht: das Aussehen, die Form oder Gestalt, die äußere Erscheinung, die beispielsweise als schön oder hässlich beschrieben wird.
Im Gegensatz zum ursprünglichen Wortsinn von idea, der sich auf das sichtbare Erscheinungsbild von etwas bezieht, ist die platonische Idee aber etwas Unsichtbares, das den sichtbaren Erscheinungen zugrunde liegt. Sie ist aber geistig erfassbar und damit für Platon in einem übertragenen Sinn „sichtbar“. Daher hat er den Begriff idea aus dem Bereich der Sinneswahrnehmung in den einer rein geistigen Wahrnehmung übertragen.

Das geistige „Sehen“, die „Schauder Ideen spielt im Platonismus eine zentrale Rolle.
Einen Ansatzpunkt für diese Bedeutungsverschiebung vom visuellen Eindruck, den ein konkretes Einzelding hinterlässt, zu etwas nur geistig erfassbarem Allgemeinen bot schon die Begriffsverwendung im allgemeinen Sprachgebrauch, die das Allgemeine und Abstrakte einbezog: Nicht nur einzelne Individuen, sondern auch Gruppen und Mengen haben ein bestimmtes eidos, nach dem man sie unterscheidet. So gab es beispielsweise ein königliches und ein sklavenhaftes eidos und ein eidos ethnischer Gruppen. Wesentlich ist auch der Umstand, dass die Wörter eidos und idea nicht nur ein artspezifisches Erscheinungsbild bezeichneten, sondern in einem abgeleiteten Sinn auch dessen „typische“, durch das Erscheinungsbild charakterisierte Träger.
Gemeint ist die Gesamtheit der Elemente einer Menge: eine Art oder ein Typus, eine Klasse von Personen, Dingen oder Phänomenen, die durch bestimmte – nicht nur optische – Merkmale konstituiert sind.

In diesem Sinn nannten Ärzte einen Patiententyp eidos. Ein weiterer schon im allgemeinen Sprachgebrauch vollzogener Abstrahierungsschritt war die Verwendung von eidos auch für unanschauliche Gegebenheiten, beispielsweise verschiedene Vorgehensweisen, Lebensweisen, Staatsformen oder Arten der Boshaftigkeit oder des Krieges.

Die Klassifizierung von Charaktereigenschaften, Haltungen und Verhaltensweisen anhand des jeweiligen eidos – einer artspezifischen, die Art konstituierenden Qualität – ist für Platons philosophische Begriffsverwendung wegweisend: Er fragte beispielsweise nach der „Idee“ einer Tugend als dem, was diese Tugend ausmacht. So wurden eidos und idea die philosophischen Bezeichnungen für das, was etwas zu dem macht, was es ist.

Platon setzt sich mit seiner Ideenlehre radikal von der vorsokratischen Philosophie ab. In Heraklits Weltsicht sind Sein und Werden verschränkt und bedingen einander als zwei Aspekte einer einheitlichen, umfassenden Weltordnung. Die Wirklichkeit ist nicht statisch, sondern prozesshaft und einer ewigen Gesetzmäßigkeit unterworfen und insofern auch gleichbleibend.

Radikal anders deutete die eleatische Schule, die sich auf den von Platon geschätzten Philosophen Parmenides berief, das Sein und das Werden. Die sogenannten Eleaten sprachen der Welt des Werdens und Vergehens den Realitätscharakter ab und erklärten alle Sinneswahrnehmungen für illusionär.

Diesem Bereich einer Scheinwirklichkeit stellten sie eine Welt des unveränderlichen Seins als einzige Wirklichkeit gegenüber. Da die Sinneswahrnehmung trügerisch sei, könne sie weder ein Wissen begründen noch auf rein geistigem Wege gewonnene Ergebnisse widerlegen. Wissen könne sich nur auf das unveränderliche Sein beziehen.

Platon griff Kernelemente dieser Lehre auf: sowohl das Konzept eines einzigen, den Sinnen verschlossenen, aber dem menschlichen Geist zugänglichen unwandelbaren Seins-Bereichs, als auch das fundamentale Misstrauen gegenüber der Sinneswahrnehmung. Wie Parmenides hielt er nur das Unveränderliche – in seiner Terminologie die Ideen – für wesentlich und wertete alles Materielle und Vergängliche stark ab.
Eine Sicht der Dinge, die nicht unwesentlich das christliche Menschenbild und die christliche Sexualethik geprägt haben.

Im Gegensatz zu Parmenides, der dem Veränderlichen als Nichtseiendem jegliche Existenz absprach, billigte Platon aber dem Bereich der wandelbaren Sinnesobjekte ein bedingtes und unvollkommenes Sein zu. Sein Konzept eines hierarchisch abgestuften Seins verband den Ideenbereich als Ursache mit den Sinnesobjekten als dem Verursachten.

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